„Autokorrektur“ von Katja Diehl
Warum jede(r) das Recht haben sollte, ein Leben ohne eigenes Auto führen zu können
Durch ein Interview in der aktuellen t3n-Ausgabe bin ich auf dieses Buch aufmerksam geworden. Da mich-über-zugeparkte-Straßen-aufregen und böse-in-SUVs-blicken eines meiner wenigen bekannten Hobbys ist, war ich entsprechend gespannt.
Die Autorin:
Katja Diehl ist Expertin für Mobilität und Logistik und veröffentlicht regelmäßig ihren eigenen Podcast She Drives Mobility.
Das Buch:
In „Autokorrektur“ (2022) beschreibt die Autorin, wie wir unsere Gesellschaft komplett um das privat besessene Auto herum gebaut haben und zeigt Wege zu einer Form der Mobilität auf, die die Welt um uns herum lebenswerter macht. Sie beginnt mit einem kurzen Überblick über die Konsequenzen unserer Fokussierung auf das Automobil. Viele Menschen nutzen es für die tägliche Fahrt zur Arbeit, kaufen mit seiner Hilfe Dinge des täglichen Bedarfs, haben Zugang zu medizinischer Versorgung und erreichen Sport- und Kulturangebote. Demgegenüber steht die Tatsache, dass täglich 8 Personen in Deutschland ihr Leben im Straßenverkehr verlieren und viele weitere mehr - Familienangehörige, Rettungskräfte, etc. - dadurch belastet und traumatisiert werden.
PKW dominieren das Straßenbild („Öffentlicher Raum in der Stadt sieht mittlerweile aus wie ein riesiges Open-Air-Autohaus“), werden aber in der Realität sehr ineffizient genutzt. Der durchschnittliche Nutzungsgrad liegt bei 1,2 Personen, und Autos werden hierzulande nur an 3% des Tages genutzt (interessant in diesem Zusammenhang auch die Wortschöpfung des „ruhenden Verkehrs“, die Parken am Straßenrand legitimiert). Das war nicht immer so, denn erst ab Mitte der 60er wurde bei steigenden Zulassungszahlen diese Praxis juristisch verankert. Mittlerweile ist es besonders in Städten völlig normal, den immer größeren werdenden Autos mehr Raum zuzugestehen und damit Sicherheit, Gesundheit und letztlich Lebensqualität aller zu riskieren.
Die Autorin blickt jedoch nicht nur auf Städte, in denen es oftmals andere Mobilitätsalternativen wie etwa den ÖPNV gibt, sondern beschreibt auch den ländlichen Raum. Sie argumentiert, dass wir im Vertrauen auf das Auto dort eine Struktur geschaffen haben, die die Dinge des täglichen Bedarfs nicht mehr einfach erreichbar machten. Diehl spricht in diesem Zusammenhang von „dysfunktionalen Dörfern“ und Zersiedelung, bei dem Dorfkerne menschenleer werden und man stattdessen „auf der grünen Wiese“ künstliche Ballungszentren errichtet - der sogenannte „Donut-Effekt“. Menschen gehen nicht mehr zu Fuß zum Bäcker oder Metzger, sondern fahren in Gewerbegebiete, um sich dort zu versorgen. Das geht solange gut, wie Menschen tatsächlich ein Auto zur Verfügung haben und es fahren können. Ist das nicht der Fall - man denke vor allem an ältere und kranke Mitbürger:innen - ist ihre Nahversorgung nicht mehr gewährleistet.
Und damit ist die Autorin auch beim Kerngedanken ihres Buchs: Mobilität ist ein Grundrecht. Sie müsse ganzheitlich betrachtet und so gestaltet sein, dass alle Mitglieder der Gesellschaft selbstbestimmt am öffentlichen Leben teilnehmen können. Der Mensch sollte dabei im Mittelpunkt stehen. Dazu gehört etwa, dass der öffentliche Raum so gestaltet wird, dass sich beispielsweise ältere Menschen sicher bewegen können, weil Bürgersteige breit und hindernisfrei sind und es genug Bänke gibt, um zwischendurch ein Päuschen einzulegen. Oder dass es ÖPNV-Angebote gibt, in denen Reisende nicht rassistisch oder sexuell belästigt werden.
Im letzten Kapitel lässt Katja Diehl noch verschiedene Personen zu Wort kommen, die ihren ganz eigenen Blick auf Mobilität teilen. Dort berichten Menschen von ihren Problemen mit der Taktung von Bus und Bahn, aufdringlichen Gruppen in der S-Bahn, SUVs als Statusymbolen oder den Gründen, warum Kinder mit dem Auto zur Schule gebracht werden.
Warum man dieses Buch lesen sollte:
„Autokorrektur“ ist keine Kampfschrift gegen das Automobil. Der Autorin geht es vielmehr darum, dieses Verkehrsmittel als eines von vielen zu sehen, es effizienter zu nutzen und einzubinden in ein ganzheitliches Mobilitätskonzept, das die Menschen in den Mittelpunkt rückt. Es geht also nicht (nur) darum, ob das Auto durch ÖPNV ersetzt oder durch Elektroantrieb umweltfreundlicher werden kann, sondern wie wir wohnen, wie wir am Arbeits- und Freizeitleben teilhaben und wie wir uns inklusiv und ohne Diskriminierung Mobilität zunutze machen. Diese holistische Perspektive, gepaart mit einer klaren, faktenbasierten Argumentation machen „Autokorrektur“ zu einer anregenden, lehrreichen und auch unterhaltsamen Lektüre.