"Nexus" von Yuval Noah Harari
Warum ist die Menschheit gleichzeitig so intelligent und so ignorant?
Der Autor
Yuval Noah Harari ist Professor für Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem und einer der einflussreichsten Denker unserer Zeit. Seine Bücher über die Geschichte der Menschheit und die Zukunft unserer Spezies wurden in mehr als 60 Sprachen übersetzt und millionenfach verkauft. In den letzten Monaten hat er sich besonders intensiv mit den Auswirkungen der Künstlichen Intelligenz auf die Gesellschaft beschäftigt und ist regelmäßig gefragter Redner auf internationalen Konferenzen.
Der Weg zum Buch
Meine Begegnung mit "Nexus" war ein klassischer Flughafenmoment. Nach der fesselnden Lektüre von Eine kurze Geschichte der Menschheit vor einigen Jahren war die Entscheidung beim Anblick von Hararis neuem Werk in der Flughafenbuchhandlung schnell getroffen.
Das Buch
In Nexus: A Brief History of Information Networks from the Stone Age to AI (2024) erforscht Harari die komplexen Zusammenhänge zwischen Technologie, Politik und menschlicher Identität in einer zunehmend vernetzten Welt. Er untersucht, wie digitale Technologien unsere demokratischen Gesellschaften grundlegend verändern und welche Auswirkungen dies auf unser Zusammenleben hat.
Warum können Menschen Atome spalten und in komplexen internationalen Forschungsprojekten zusammenarbeiten, während sie gleichzeitig schreckliche Kriege gegeneinander führen? Laut Harari hat dies nichts mit einer inhärenten menschlichen Schwäche zu tun, sondern damit, wie wir mit Informationen umgehen und wie gut oder schlecht sie sind. Seine These: Die zugrunde liegenden Informationsnetzwerke entscheiden darüber, wie frei und demokratisch wir zusammenleben und wie wir mit den Herausforderungen der Zukunft umgehen.
Zur Begründung wirft er einen Blick in die Geschichte. Harari beschreibt anschaulich, wie erst Technologien wie Tontafeln, dann der Buchdruck und schließlich Zeitungen und Radio Millionen von Menschen in die Lage versetzten, sich zu organisieren und demokratische Strukturen aufzubauen. Einfacherer Informationsaustausch und mehr Daten seien aber nicht unbedingt nur positiv. Bevor etwa die ersten Druckerpressen die Wissenschaft revolutionierten, dienten sie der massenhaften Verbreitung grotesker Verschwörungsliteratur wie dem Hexenhammer, der die Grundlage für die brutale Hexenverfolgung im 17. Jahrhundert war.
Vor diesem Hintergrund diskutiert Harari auch die potenziellen Gefahren der Künstlichen Intelligenz für demokratische Gesellschaften. Wenn Algorithmen selbstständig Entscheidungen treffen, als autonome Akteure Teil unserer Informationsnetzwerke werden und dabei nicht mehr von menschlichen Gesprächspartner:innen unterschieden werden können, hat das fatale Auswirkungen auf unser Zusammenleben. Nicht eine Terminator-Roboterkatastrophe ist die große Bedrohung der alien intelligence, wie Harari sie nennt, sondern die schleichende, unsichtbare Aushöhlung von Institutionen und Systemen.
Warum man dieses Buch lesen sollte
In einer Zeit, in der ChatGPT und andere KI-Systeme unseren Alltag revolutionieren, liefert "Nexus" wichtige Denkanstöße für den Umgang mit diesen Technologien. Hararis klare Analyse hilft uns, die aktuellen Entwicklungen besser zu verstehen und informierte Entscheidungen für die Zukunft zu treffen.
Kritiker:innen werfen Harari zwar manchmal vor, zu vereinfachend zu argumentieren und zu sehr zu generalisieren. Doch gerade seine Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge verständlich und unterhaltsam darzustellen, macht das Buch für eine breite Leserschaft so wertvoll.
Wer verstehen will, wie Technologie unsere Gesellschaft verändert und welche Weichen wir heute für morgen stellen müssen, kommt an diesem Buch nicht vorbei. Es ist Weckruf und Wegweiser in eine Zukunft, die wir noch gestalten können.