"Post Corona" von Scott Galloway
Wie "Big Tech"-Unternehmen in der Pandemie agieren und von ihr profitieren
Immer mal wieder werde ich schwach und lese mich tiefer bei Scott Galloway ein. Das passiert mir meistens zu Jahreswechseln, in denen er typischerweise Prognosen für das Folgejahr abgibt. Das Wort "Post" in Buchtitel seines neuen Buchs "Post Corona" hat mich neugierig gemacht und ich möchte es hier als dritten Titel in diesem Jahr besprechen.
Der Autor:
Scott Galloway, auch bekannt unter "Prof G", ist ein amerikanischer Unternehmer, der außerdem Marketing an der Universität von New York lehrt und den die meisten von seinen launigen Auftritten bei der DLD-Konferenz (z.B. mit Perücke im Adele-Stil) sowie dem Pivot-Podcast kennen dürften. Mit seiner lakonischen Art, seiner Sprache voller "gangster moves" und seiner allgemeinen Omnipräsenz ist er zumindest polarisierend, um es vorsichtig auszudrücken. Nach "The Four" (2017), in dem er die Erfolgsgeschichte von Google, Amazon, Facebook und Apple nachzeichnet (die hierzulande als GAFA-Ökonomie bekannt sind), konzentriert er sich in "Post Corona" (2020) auf das Leben in und nach der Pandemie.
Das Buch:
Galloway beginnt seinen Text mit einer kurzen Zusammenfassung der COVID19-Pandemie in den Vereinigten Staaten, wie sie das Land völlig unvorbereitet traf, jedoch trotzdem in vielen Sektoren der Privatwirtschaft zu massiven Erfolgen führte, etwa im E-Commerce. Aber auch wenn Aktienkurse von Apple und Amazon zuletzt stark gestiegen sind, gibt es eine immer länger werdende Liste traditioneller Handelsunternehmen - wie etwa Neiman Marcus, J.Crew und JCPenney - die der Krise zum Opfer gefallen sind. Galloway nennt das "culling of the herd": die Großen werden größer, weil Börsianer ihre Post-Pandemie-Aussichten als sehr vielversprechend einschätzen, während Kleinere aufgeben müssten. Er berichtet von massiven notwendigen Kosteneinsparungen und kritisiert staatliche Unterstützung aus der Zeit gefallener Geschäftsmodelle wie beispielsweise Luftfahrtunternehmen. Der Autor beleuchtet außerdem die Auswirkungen von Heimarbeit und merkt an, dass 60% aller Berufe mit einem Jahreseinkommen von über $100.000 in den eigenen vier Wänden ausgeübt werden können, während das im Vergleich nur bei 10% der Jobs mit weniger als $40.000 Verdienst pro Jahr möglich ist. Die Pandemie hat also vor allem ernste Auswirkungen auf Haushalte mit geringen Einkommen.
Dann widmet sich Scott Galloway den „Vieren“: Bezüglich Amazon berichtet er von stark steigende Umsätzen im letzten Jahr und erläutert, wie CEO Jeff Bezos auf die Pandemie mit der ersten „geimpften Supply-Chain“ reagieren möchte. Überhaupt sei das Gesundheitssystem „reif“ dafür, von diesem Unternehmen disruptiert zu werden, etwa in Form eines „Amazon Prime Health“. Bezüglich Apple spricht er über den stärkeren Fokus auf digitale Inhalte (siehe AppleTV+) und erklärt, warum die Akquise des Heimtrainer-Newcomers Peloton ein kluger Schritt für das Unternehmen aus Cupertino sein könne. Er schaut sich außerdem Google und Facebook an, die als Werbeplattformen ehemals erfolgreichen Medienunternehmen den Rang ablaufen, und stellt fest: „Covid-19 has a mortality rate of around 0.5% - 1% among people, but the pandemic is going to have a fatality rate of 10-20% in traditional media.“
Nach der Vorstellung einiger weiterer „Disruptoren“, die in seinen Augen in der nächsten Zeit ihre jeweiligen Branchen nachhaltig verändern werden, wie etwa Netflix, Shopify, Spotify und Tesla, widmet er sich einem seiner offensichtlichen Lieblingsthemen: der Krise und dem Umbau des amerikanischen Universitätssystems. Galloway erläutert, dass in den letzten 40 Jahren die Kosten für ein Studium um 1.400% gestiegen seien. Und gerade in der jetzigen Pandemie sei es schlicht nicht darstellbar, dass Studierende mehrere Tausende Dollar dafür bezahlen, in Zoom-Meetings ihren Professoren zu lauschen. Der Autor schlägt zur Reform des System eine Art Marshall-Plan vor, um etwa die Kosten zu senken und den Zugang zu Bildung fairer zu gestalten.
Nach seiner vorwiegend wirtschaftlich getriebenen Argumentation kommt er im letzten Kapitel mit dem Titel „The Commonwealth“ auf die Rolle der Regierung zu sprechen, über das Festlegen von Regeln für den Markt und die grundsätzliche Notwendigkeit von Wählerbeteiligung. Schließlich schlägt er eine Art freiwilliges soziales Jahr vor, in dem junge Menschen bei der Bekämpfung der Folgen der Corona-Krise helfen sollen - er nennt es daher das „Corona-Corps“. In seinen Augen könnten so 180.000 Personen Kontakte nachverfolgen oder in Testzentren zu helfen und damit dem Land einen ähnlich patriotischen Dienst erweisen wie dereinst im zweiten Weltkrieg.
Fazit und warum man dieses Buch lesen sollte (aber nicht unbedingt muss)
"A healthy portion of this book is a pandemic-era update to my first book, The Four [...]" schreibt Galloway in der Einleitung. Und das kann man wörtlich nehmen. Wer erwähntes Buch gelesen hat, wird in "Post Corona" nicht viel Neues oder Überraschendes finden. Der Autor begnügt sich mit der Beobachtung, dass die Pandemie für beschleunigte Digitalisierung, ein Größerwerden der Big-Tech-Unternehmen (damit ein Reicherwerden der Reichen) und eine absehbare Krise des US-amerikanischen Bildungssektors sorgen wird. Corona wird dabei nicht systematisch analysiert, sondern taucht hier und da als narrativer Klebstoff auf. Galloway argumentiert insgesamt durch und durch patriotisch, konzentriert seinen Blick auf das eigene Land - abgesehen von kurzen Momenten, in denen er etwa Deutschlands Kurzarbeit-Modell lobt. Sein „Corona-Corps“, sein urpatriotisches Zivilprojekt ist, so schwülstig es daherkommen mag und so sehr es bei mir selbst wegen Weltkriegsmetaphorik und America-first-Gehabe Kopfschütteln hervorruft, so ziemlich die einzige originelle Idee in diesem Buch - sie wird allerdings nur auf zwei Seiten angedeutet.
Wer sich also eine Analyse der Corona-Pandemie und deren Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft erhofft, wird von diesem Buch enttäuscht sein. Und wer „The Four“ gelesen hat und ab und zu mal in das Blog des Autors schaut, dem werden seine Argumente bekannt vorkommen. Das erste unnötige Buch auf Hirnbrise.