Alle Schwäne sind weiß. Für Bewohner:innen des Westens bis in das 18. Jahrhundert ein Satz, der so normal und unspektakulär war wie „kochendes Wasser ist heiß“. Bis ebenjener Westen den australischen Kontinent entdeckte - und mit ihm Schwäne die (wait for it) schwarz waren!
Der Autor:
Nicholas Nassim Taleb ist ein Finanzmathematiker, ehemaliger Börsenmakler und Philosoph, der sich vor allem mit der Analyse zufälliger Ereignisse beschäftigt.
Das Buch:
In seinem Buch „The Black Swan“ (2007) beschreibt der Autor die Wirkung von unvorhergesehenen Ereignissen, die fundamentale Änderungen mit sich bringen. Seiner Ansicht nach wiegen sich Menschen zu oft in scheinbaren Sicherheiten, sehen vor allem Normalität, Erklärbar- und Planbarkeit um sich herum (die Welt, die der Autor als „Mediokristan“ bezeichnet). Dabei sei das ein verzerrter Blick, denn in Wahrheit lebe man in „Extremistan“, also in einer Welt, die von seltenen, sehr einschneidenen Ereignissen und Umständen getrieben wird. Man nehme laut Taleb 1000 beliebig ausgewählte Menschen in einem Stadion, vergleiche ihr Gewicht und stelle bei diesem Experiment schnell fest, dass sich dieser Wert bei allem in einem gewissen, erwartbaren Rahmen bewegt. Anders sieht es aus, wenn man sich das persönliche Vermögen dieser Gruppe vorstellt - und Bill Gates als (ehemals) reichste Person der Welt in diese Gruppe nimmt. Mit dieser einen kleinen „Korrektur“, also das Einrechnen eines Milliardärs habe man die normale Einkommensverteilung der Gruppe komplett auf den Kopf gestellt.
Ein weiteres interessantes Beispiel für Black-Swan-Ereignisse beschreibt er im Hinblick auf Spielkasinos. Als Uneingeweihte würden wir denken, dass das größte Risiko dieser Unternehmen die Menschen sind, die durch pures Glück oder durch Tricks und Manipulation viel Geld gewinnen. Tatsächlich war das Aus des Duos Siegfried und Roy durch einen Unfall auf der Bühne für das veranstaltende Casino wirtschaftlich gesehen ein viel größeres Fiasko. Oder: stellen wir uns das Leben eines Truthahns vor, der über Jahre von seinem Bauern gefüttert wird, und jeden Tag ein wenig mehr davon ausgehen kann, dass das immer so sein wird - bis zu dem Tag, an dem er geschlachtet wird und die gelernte körperliche Sicherheit ein sehr jähes Ende findet.
Mit derartigen Beispielen verdeutlicht der Autor die Tatsache, dass wir einen verzerrten Blick auf die Welt haben, weil wir regelmäßig überschätzen, was wir wissen, und unterschätzen, was wir eben nicht wissen. In diesem Zusammenhang eindrucksvoll ist ein Kapitel, in dem er ausführt, wie schlecht wir - und ganz besonders Expert:innen in den jeweiligen Bereichen - im Vorhersagen der Zukunft sind. Je gelehrter und renommierter die Person, desto schlechter kann sie die Einschränkung ihres Wissens einschätzen, und je natürlicher ihr Drang, auch komplett falsche Prognosen schönzureden.
In diese Argumentationskette passt auch das Konzept der „Serendipity“, also des glücklichen Zufalls, dem die Menschheit große Fortschritte in der wissenschaftlichen Forschung verdankt, wie etwa die Entdeckung des Penicillins oder des Lasers. Um es mit Taleb zu sagen: „In other words, you find something you are not looking for and it changes the world, while wondering after its discovery why it „took so long“ to arrive at something so obvious.“
Warum man das Buch lesen sollte:
Dieses Buch muss man mit einer Art innerem Schutzanzug lesen. Wir haben hier ein gutes Beispiel von „wenn der Autor doch nur ein besserer Erzähler wäre“. Die Lektüre ist besonders im letzten Drittel schwierig, es geht schleppend voran. Wer keine innige Liebe zu Algebra und Statistik verspürt, wird schnell von verschiedenen Exkursen in die Gaußsche Normalverteilung und die Fraktale von Mandelbrot frustriert sein. Taleb wiederholt sich oft und ein ums andere Mal steht sein Ego dem Lesefluss im Weg. Der Autor legt sich mit ganzen wissenschaftlichen Disziplinen an, wischt den Nobelpreis beiseite, oft hat man das Gefühl, sich durch kapitellange Rants durcharbeiten zu müssen. Trotz allem ist „The Black Swan“ letztlich eine lohnenswerte Lektüre, weil sie uns einen besonderen Blick auf die Welt um uns herum erlaubt und unser analytisches Instrumentarium um wichtige Werkzeuge ergänzt.