„The Cold Start Problem“ von Andrew Chen
Wie man erfolgreiche vernetzte Produkte und Dienstleistungen aufbaut
Der Autor:
Andrew Chen hat bei Uber Wachstums-Team geleitet und unterstützt diverse Tech-Startups als Partner im Investment-Unternehmen Andreessen Horowitz.
Das Buch:
In „The Cold Start Problem“ (2021) veranschaulicht der Autor anhand einiger bekannter Web-Unternehmen, wie wichtig das Verständnis und der Aufbau von Netzwerken für den Erfolg von Unternehmen wie Uber, AirBnb sind und waren.
Es gibt Produkte, die wertvoller werden, je mehr Menschen sie nutzen - und vice versa. Ein Soziales Netzwerk wie Twitter beispielsweise wäre nur wenig attraktiv, wenn dort nicht eine relevante Gruppe von Menschen aktiv wäre, denen man folgen und mit denen man sich austauschen kann. Ähnliches gilt für die Taxi-App Uber: Gibt es zu wenige Fahrer:innen, die ihre Dienstleistung anbieten, wird es schwer für Kund:innen, in einer vertretbaren Zeit von A nach B zu gelangen. Wobei es sich hier schon um ein Henne-Ei-Problem handelt, denn warum sollten sich Fahrer:innen die Uber-App installieren, wenn es nicht genügend zahlungsbereite Reisende gibt?
Um die Entwicklung dieser verschiedenen Netzwerke besser zu verstehen und ihr Wachstum zu begünstigen, entwickelt Chen seine in fünf Phasen aufgeteilte Cold Start Theory:
In der ersten Phase Cold Start Problem, die laut des Autors die schwierigste ist, gibt es noch kein Netzwerk. Die Herausforderung besteht darin, eine Grundmenge von Anwender:innen für ein Produkt oder ein Dienstleistung zu akquirieren. Chen spricht von atomic networks, also kleinen, sich selbst verstärkenden Mini-Gruppen, die die Basis für ein größeres Netzwerk sind. Er nennt das Beispiel des Chat-Dienstes Slack, das laut Gründer nur drei Personen braucht, die das System produktiv nutzen und die damit gleichsam die Keimzelle eines wachsenden Netzwerks werden können. Die Größe dieser Gruppen ist dabei weniger entscheidend als ihre Dichte und der Grad der Vernetzung. Bevor Uber beispielsweise ein weltweit agierendes Unternehmen wurde, haben sich die Strategie-Teams laut des Autors auf kleinere Netzwerke konzentriert, z.B. auf nur einen Teil bestimmter Städte in den USA.
In der nächsten Phase Tipping Point geht es laut Chen darum, mehr und mehr dieser kleineren Gruppen zu vernetzen. Bilden und verbinden sich innerhalb eines Unternehmens beispielsweise ausreichend atomic networks, wird eine kritische Masse erreicht und, wie im Fall von Slack, entsteht ein neuer Kommunikationsstandard für dieses Unternehmens, das andere Dienste verdrängt. Im Fall des Business-Netzwerks LinkedIn erhielten in den Anfängen Nutzer:innen nur Zugriff, nachdem sie eingeladen waren. Somit konnten sich die ursprünglichen atomic networks vervielfältigen, weil die ersten Mitglieder die nachfolgenden sozusagen kuratieren konnten.
In Escape Velocity, der dritten Phase, ist das Produkt erfolgreich am Markt etabliert und geht in eine Wachstumsphase über. Es ist die Phase, die jedes Produkt erreichen und erhalten möchte, um langfristig erfolgreich zu sein und das volle Potential auszuschöpfen. In dieser Phase inzentivierte Uber etwa seine Fahrer:innen durch Bonusprogramme, mehr Kund:innen zu bedienen und nicht für Konkurrenz-Anbieter zu fahren.
Unangenehm für Unternehmen wird es in der vierten Phase namens The Ceiling, denn hier kommt das Wachstums des Netzwerks an seine Grenzen, was verschiedene Ursachen haben kann. Möglicherweise machen neue Mitbewerber einem die Nutzer:innen streitig oder die Qualität des eigenen Netzwerks leidet durch Spam. Marketing-Aktionen sind sukzessive weniger erfolgreich („The Law of Shitty Clickthroughs“) oder der Markt ist gesättigt, wie Andrew Chen am Beispiel des Online-Auktionshauses eBay zeigt.
In der letzten Phase The Moat veranschaulicht Chen anhand des Beispiels von AirBnB, wie es sich aufgrund eines stärkeren Netzwerks gegen einen übermächtig scheinenden Mitbewerber durchsetzen konnte.
Warum man dieses Buch lesen sollte:
Andrew Chen war in seiner Funktion als Investor bei vielen bekannten Plattformen direkt beteiligt und verarbeitet in seinem Buch auch Interviews mit den Gründern unter anderem von Slack und LinkedIn, was man dem Text anmerkt. Wer sich für die Tech-Szene interessiert, wird den Blick hinter die Kulissen von AirBnB, Uber & Co. sehr lehrreich und unterhaltsam finden, vor allem, weil sie der Illustration seines Frameworks dienen. Dieses wirkt zwar nicht extrem komplex, stellt aber aus meiner Sicht eine gute Richtschnur durch das Thema dar. Wir lernen, warum es wichtig ist, sich um die früh entstehenden atomic networks zu kümmern und warum Reichweite und Größe alleine - siehe das Scheitern des Facebook-Klons Google+ - kein Garant für ein funktionierendes, wachsendes Netzwerk sind.