"Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten" von Alice Hasters
Aktiv und bewusst gegen Rassismus im Alltag
Ich muss gestehen, auf das Buch bin ich erst aufmerksam geworden, als es der unsägliche Dieter Nuhr letztes Jahr im Rahmen einer seiner konservativ-bräsigen Humorparodien durch den Kakao gezogen hat. Mit einem leichten Gefühl von „jetzt erst recht“ habe ich es bestellt und möchte „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten“ (2020) als zweites Buch in diesem Jahr vorstellen.
Die Autorin:
Alice Hasters ist eine Journalistin und Autorin aus Köln, die unter anderem für die Tagesschau und den rbb arbeitet und in Berlin lebt.
Das Buch:
Es geht um Rassismus, vor allem um die verschiedenen Formen des Alltags- und Gelegenheitsrassismus, die uns möglicherweise gar nicht auffallen, aber durchaus einen Bezug zum Großen und Ganzen haben. Um diesen Zusammenhang zu verdeutlichen, verwebt die Autorin, die eine schwarze Mutter hat und sich selbst als Schwarze Frau bezeichnet, verschiedene, teils sehr persönliche Episoden aus ihrer Kindheit und Jugend mit einer historischen und soziokulturellen Analyse von Rassismus.
Sie beginnt etwa mit einer Spardose, die aussieht wie der „Oberkörper eines Schwarzen Mannes. Rote Lippen, breit zu einem absurden Lächeln geformt, große Augen und Nase.“ Oder sie beschreibt die ständig wiederholte Frage nach den eigenen Wurzeln, verbunden mit der Erwartung, etwas „Exotisches“ zu hören, Orte „an denen die Sonne scheint und Kokospalmen wachsen“. Die Autorin berichtet, welche Probleme sie im Kindergarten und in der Schule aufgrund ihrer Hautfarbe hatte - und das sowohl mit Schüler*innen als auch mit Lehrer*innen - spricht über blackfacing im Kölner Karneval und erzählt, wie HipHop-Kultur und ein Schüleraustausch in den USA eine gewisse Normalität für sie herstellte.
Aber Rassismus hat eine viel größere, historische Dimension und dient vor allem als System zur Machtlegitimation und -Erhaltung der „Weißen“- die schockierenden Auswüchse dieser „white supremacy“-Ideologie ließen sich jüngst im Zuge der #blacklivesmatter-Bewegung deutlich beobachten. Alice Hasters berichtet von Johann Friedrich Blumenbach, der 1775 die Menschheit in fünf verschiedene Rassen mitsamt den zugehörigen Farben (z.B. weiß, der kaukasische Typus) einteilte. Auch Vordenker der Aufklärung und prominente deutsche Philosophen waren in ihrem Urteil schwarzen Menschen gegenüber wenig zimperlich: „Die Negers von Afrika haben von der Natur kein Gefühl, welches über das Läppische stiege“ formulierte etwa Immanuel Kant.
Immer wieder gibt es Beispiele in der Geschichte, wie Rassismus pseudo-wissenschaftlich belegt wurde (man denke auch an die Eugenik, die bis ins 20. Jahrhundert hinein ihren Einfluss hatte), um damit der Unterdrückung bestimmter Gruppen von Menschen das ideologische Fundament zu verpassen. In Deutschlands Geschichte lässt sich dies unter anderem anhand seiner afrikanischen Kolonien nachzeichnen: Teile des afrikanischen Kontinents wurden Ende des 19. Jahrhunderts unter anderem unter den Europäern verteilt, was blutige Aufstände der Einheimischen verursachte und Zehntausenden von Herero und Nama das Leben kostete.
Aber „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollten aber wissen sollten” ist kein Geschichtsbuch. Im letzten Teil wird es wieder persönlicher und pragmatischer, es geht vor allem um Körperlichkeit und Schönheitsideale. Weiß gelte als schön und „rein“, während schwarz als „exotisch“ und übersexualisiert interpretiert wird. Alice Hasters spricht darüber, wie es sich anfühlt, wenn man auffällt, nur wenn man einen Raum betritt, warum der Satz “du sprichst gut deutsch” schmerzhaft ist, warum Friseure nicht mit ihren Haaren zurechtkommen und welche Auswüchse es haben kann, wenn man als schwarze Frau einem weißen Schönheitsideal nacheifert.
Fazit und warum man das Buch lesen sollte
Selten habe ich mich bei einer Lektüre so sehr als Lernender gefühlt wie bei diesem Buch. Ich merke, wie ich mein Denken und meine Sprache selbst beim Schreiben dieser Rezension wie durch eine Lupe betrachte. Es sind die Feinheiten, die Unachtsamkeiten, die nicht reflektierten Äußerungen und Verhaltensweisen, die vor dem Hintergrund eines latenten Alltagsrassismus eine große Bedeutung haben. Nehmen wir alleine die Sprache: Wir erleben, dass wir in unserer Alltagssprache wenige unproblematische Begriffe und Bezeichnungen finden - wie schlimm ist das N-Wort, sagt man „schwarz“, „farbig“, „afro-deutsch“ oder nutzt das amerikanische „PoC“ (Person/People of Color) bzw. „BIPoC“ (Black, Indigenous, People of Color)?
Oder auch die Tatsache, dass man fast automatisch schwarzen Menschen mehr Sportlichkeit oder Musikalität zuschreibt. Oder fast zwanghaft nach der Herkunft des Gegenübers fragt, besonders wenn man sich selbst als weißen Menschen betrachtet (bzw. als „pinko-grey“, wie es der englische Autor E.M. Forster in „The Passage to India“ (1924) so treffend formulierte). Es sind genau diese Dinge, die mit dem Titel des Buchs gemeint sind.
Letztlich gilt das, was Hasters am Anfang des Buches sagt: Es ist ein Spagat, die Geschichte des Rassismus einerseits anzuerkennen und sie andererseits nicht weiter fortzusetzen. Ein sehr lesenswertes Buch, das nicht verbittert-belehrend daherkommt, sondern als Gesprächsangebot verstanden werden kann.