"Creativity, Inc." von Ed Catmull
Kreativität durch Eigenverantwortung und vertrauensvolle Fehlerkultur fördern
Dieses Buch-Cover erinnert mich wie kein zweites an das Bücherregal des Berliner Shopify-Büros, das ich vor gut einem Jahr das erste Mal besuchte. Knallrotes Cover, Buzz Lightyear aus den Toy-Story-Filmen auf dem Cover, wer kann da schon vorbeigehen?
Die Autoren:
Edwin Catmull ist Gründer und Präsident von Pixar und Disney Animation. Bei diesem Buch wird er unterstützt von Amy Wallace, einer amerikanischen Journalistin und Autorin.
Das Buch:
In seinem autobiografischen Buch „Creativity, Inc.“ (2014) beschreibt Pixar-Gründer Ed Catmull seinen Werdegang und die Entwicklung computergenerierter Effekte sowie animierter Unterhaltungsfilme. Bereits in der Einleitung stellt er die Frage, deren Beantwortung sich als roter Faden durch den gesamten Text zieht: „What was causing smart people to make decisions that sent their companies off the rails?“ Mit seiner eigenen Geschichte zeichnet er anhand vieler Beispiele nach, wie er mit seinen Mitgründern (unter anderem dem Apple-CEO Steve Jobs) Pixar zu einem erfolgreichen Animationsstudio entwickelt und dabei stets selbstkritisch auf der Suche nach Verbesserungsmöglichkeiten ist.
Diese Geschichte beginnt in den USA der späteren 60er-Jahre. Ed Catmull studiert Physik und Computer Science an der Universität von Utah. Motiviert durch seine Begeisterung für die Disney-Zeichentrickfilme seiner Jugend experimentiert er dort mit der computerbasierten Modellierung von dreidimensionalen Objekten und digitalen Texturen. Nach seiner Dissertation zieht er nach Kalifornien und beginnt, mit einem Team für George Lucas an neuen visuellen Möglichkeiten für die gerade entstehende Star-Wars-Reihe zu arbeiten. Dort entsteht auch der „Pixar Image Computer“, mit dessen Hilfe hochauflösende Spezialeffekte auf Film gebannt werden können.
Als Lucasfilm Mitte der 80er-Jahre seine Computerabteilung mitsamt dieses Spezial-Rechners verkauft, tritt Apple-Gründer Steve Jobs auf den Plan. Er investiert in das Unternehmen, das als Hardware-Firma anfänglich den Pixar-Computer erfolglos vermarktet, sich dann aber zunehmend auf die Produktion animierter Kurzfilme konzentriert. Anfang der 90er beauftragt der Disney-Konzern Pixar schließlich mit der Produktion dreier animierter Kinofilme, und mit dem Erfolg von Toy Story stellt sich auch der wirtschaftliche Erfolg für Catmulls Unternehmen ein.
Bis hierhin ist „Creativity, Inc.“ ein authentische, spannend erzählte Tech-Startup-Geschichte. Was nun folgt ist die Beschreibung kleinerer und mittlerer Katastrophen aus dem Studio-Alltag. Die Autoren berichten, welche Schlüsse das Gründerteam aus diesen Unfällen zieht und wie es permanent die Struktur und Prozesse von Pixar anpasst und verbessert, um Kreativität zu fördern und den eigenen Qualitätsansprüchen gerecht zu werden. Dies beginnt bei der Ausstattung der Meeting-Räume, in denen alle Beteiligten ehrlich und auf Augenhöhe diskutieren können, geht über den Aufbau von Vertrauen, um Experimente zuzulassen und auch den scheinbar abstrusesten Film-Ideen Raum zu geben hin zu einer Fehlerkultur, in der auch dann keine Köpfe rollen, wenn jemand aus Versehen per Programmbefehl sämtliche Grafikdaten eines neuen Films löscht und Pixar nur um Haaresbreite eine Pleite abwenden kann. Die Autoren sprechen über die Notwendigkeit, sich mit Unvorgesehenem auseinanderzusetzen und die eigenen mentalen Modelle ständig selbstkritisch zu hinterfragen.
Das Buch schließt damit, dass der Disney-Konzern Pixar im Jahr 2005 übernimmt. Im Kapitel „Testing what we know“ beschreibt Catmull, wie er das Gelernte auf das Disney-eigene Animationsstudio überträgt und dort Schritt für Schritt die Transformation zu einer offeneren und damit auch produktiveren Unternehmenskultur einleitet. Catmull beendet den Text mit einer stichpunktartigen Zusammenfassung seiner wichtigsten Erkenntnisse sowie einer Hommage an seinen Mitgründer und langjährigen Freund Steve Jobs.
Fazit oder Warum man dieses Buch lesen sollte
Wie schon in der Rezension von Leonardo angedeutet, bin ich ein großer Freund autobiografischer Texte. Und nach der Lektüre von „Creativity Inc.“ weiß ich erneut, wieso: den Akteuren über die eigene Schulter blicken und von ihnen lernen zu dürfen ist einfach unschlagbar. Catmull nimmt die überzeugende und spannende Rolle des Entdeckers, des Selbstkritischen, des Lernenden ein und zeigt uns, wie er Schritt für Schritt kreativere, zufriedenere und damit auch leistungsfähigere und wirtschaftlichere Teams entstehen lässt. Dabei vermittelt er auf der einen Seite konkrete Praxistipps, bettet diese jedoch auch in einen größeren Kontext ein, etwa wenn er über mentale Modelle und Erkenntnistheorie schreibt. Anregend und unterhaltsam, eine sehr lesenswerte Buchregal-Bereicherung.