Ich bin ein großer Freund gut und unterhaltsam geschriebener Biografien. Im Dezember hörte ich vom Buch über Leonardo da Vinci und bin mit dessen Lektüre in dieses Jahr gestartet. Warum taucht das Buch hier auf? Nun, zum einen hat das Leben und Werk da Vincis aus meiner Sicht sehr aktuelle Bezüge zur heutigen Gesellschaft und Wirtschaft, zum anderen sollte man, bei aller Wissenserzeugung, auch immer einen guten Schuss Hedonismus walten lassen - denn "Leonardo da Vinci" ist mit Abstand auch das schönste Buch bei Hirnbrise bisher.
Der Autor
Der Amerikaner Walter Isaacson hat als Journalist unter anderem für CNN und Time gearbeitet und unter anderem vor zehn Jahren die vielbeachtete und autorisierte Biografie über Steve Jobs geschrieben.
Das Buch
Leonardo da Vinci ist als Universalgenie der Renaissance jedem bekannt. Sei es durch Gemälde wie die "Mona Lisa" oder das "Letzte Abendmahl", Zeichnungen wie der des "Vitruvianischen Menschen" (der mit den ausgestreckten Armen und Beinen innerhalb eines Kreises) oder durch eine seiner zahlreichen Erfindungen. In dieser Biografie beleuchtet der Autor das Leben und Werk da Vincis im Detail, zitiert aus den 7200 Notiz-Seiten des Künstlers und Forschers, erläutert dessen Lebensstationen und macht deutlich, warum da Vinci bis heute geachtet und diskutiert wird.
Leonardo wird Mitte des 15. Jahrhunderts im kleinen toskanischen Dorf Vinci westlich von Florenz als uneheliches Kind einer Notarfamilie geboren. Johannes Gutenberg hat gerade den Buchdruck erfunden, Italien erlebt eine Periode des Friedens, wohlhabende Stadtstaaten wie Florenz erblühen durch Verflechtung von Kunst, Technik und Handel. In dieser Umgebung beginnt Leonardo mit 14 Jahren seine Ausbildung in der Werkstatt eines bekannten Künstlers und Ingenieurs, lernt die Grundzüge von Anatomie, Perspektive sowie verschiedene Zeichentechniken kennen und arbeitet an Auftragsgemälden. Dort entwickelt er unter anderem seinen bekannten "Sfumato" -Malstil, bei dem Konturen verschwommen erscheinen, was etwa dem Lächeln seiner "Mona Lisa" später das Geheimnisvolle verleiht. Ebenfalls in jungen Jahren beginnt sich der Künstler für Theater und Inszenierungen zu interessieren, zeichnet Gerätschaften für Bühnenbau und entwickelt das Verständnis für Perspektive und räumliche Tiefe, die sein späteres Werk kennzeichnen.
Walter Isaacson belässt es jedoch dankenswerterweise nicht bei einer rein historischen Abhandlung, sondern beschreibt viele Bilder und Kunstwerke im Detail, verweist auf Pinselführung und die Effekte, die Leonardo auf diese Weise erzeugt. Bei der Lektüre hilft es also, die besprochenen Werke auf einem separaten Bildschirm zu betrachten, um die Beschreibungen nachvollziehen zu können, die - das sei schonmal vorweggenommen - für mich den größten Reiz des Buchs ausmachen.
Mit dreißig Jahren zieht Leonardo nach Mailand und bewirbt sich bei dessen Regenten Ludovico Sforza um eine Anstellung. In seinem Brief beschreibt er, welche Innovationen in der Militärtechnik er für den neuen Herrscher bauen wird und gibt auch Architektur, Stadtplanung und Brückenbau als seine Fachgebiete an. Und auch wenn das meiste davon nur im Entwurfsstadium bleibt, wird bereits hier deutlich, wofür Leonardo letztlich bekannt wurde: Naturbeobachtung und -wissenschaft, Ingenieurswesen und Kunst miteinander zu verbinden und dabei mit einer unglaublichen Neugier und Experimentierfreude vorzugehen.
Und diese spiegeln sich vor allem in seinen Notizbüchern wider: er entwickelt darin Musikinstrumente, fertigt Karikaturen und anatomische Zeichnungen (nachdem er zahlreiche Leichen seziert hatte), versucht mathematische und geometrische Probleme wie etwa die Quadratur des Kreises zu lösen, entwirft Flugmaschinen (nachdem er eingehend den Vogelflug studiert hatte), beschäftigt sich mit dem perpetuum mobile und sinniert über Licht und Schatten.
Zwischendurch flechtet der Autor aber auch die Konflikte ein, mit denen Leonardo Zeit seines Lebens zu kämpfen hatte. So sind viele seiner Werke unvollendet geblieben, seine wegweisenden Studien wurden nicht als Bücher veröffentlicht und haben teilweise erst Jahrhunderte später die angemessene akademische Würdigung erhalten.
Fazit und warum man dieses Buch lesen und genau ansehen sollte
Für mich persönlich ist die Essenz dieses Buchs die Wichtigkeit, Dinge mit mehr Neugier und Intensität betrachten. Wie an so vielen Beispielen deutlich wird, ist Leonardo bei aller handwerklichen Fähigkeit zuallererst ein unglaublich disziplinierter Beobachter, der die Details seiner Umgebung reflektiert und sie in seine Kunst und in seine Erfindungen einfließen lässt. Er vermeidet dazu Silo-Wissen (siehe dazu auch die Rezension zu Range) und lässt sein Denken und seine Kreativität von verschiedenen wissenschaftlichen und künstlerischen Richtungen und Disziplinen beeinflussen. Ein Generalist im besten Sinn, der mit offenen Augen durch die Welt ging und dessen unbändiges Interesse an seiner Umgebung ich als sehr inspirierend empfand.