Nach einem Buch über die Probleme mit Rassismus im Alltag und einem Text über die US-Wirtschaft in Corona-Zeiten möchte ich heute über das waschechte Business-Buch "Range" sprechen.
Der Autor:
David Epstein ist ein amerikanischer Journalist, der unter anderem für Sports Illustrated geschrieben und sich dort auf investigative Berichterstattung spezialisiert hat.
Das Buch:
„Range“ wurde als „Business Book of the Year 2019“ ge-shortlisted - ein Preis, der von der Financial Times und McKinsey vergeben wird (und mir bis dato nicht bekannt war). Darin untersucht der Autor den Gegensatz zwischen Spezialisten und Generalisten und zitiert dabei zahlreiche Forschungsergebnisse und Studien. Anekdote nach Anekdote stützt er seine These, dass entgegnen der allgemeinen Überzeugung nicht immer fokussiertes Fachwissen relevant ist, sondern der holistischere, interdisziplinäre Blick auf ein Problem oft zu den besseren Lösungen führt.
Wie so oft bei angelsächsischer Business-Literatur geht‘s mit einem Sport-Beispiel los: Epstein berichtet vom Golf-Profi Tiger Woods, der schon in frühester Kindheit mit Golfschlägern hantierte und bereits in sehr jungen Jahren erwachsene Profi-Spieler in Turnieren deklassierte. Hinter diesem Erfolg steckt eine rigorose Fokussierung auf diesen einen Sport und seine Bewegungsabläufe - eine Übungsroutine und “grit”, die Tiger Woods zu einem der erfolgreichsten Golfspieler aller Zeiten machte. Das genaue Gegenbeispiel: Roger Federer. Erst spät in seiner Jugend entdeckt er seine Liebe zum Tennis, liebäugelt vorher jedoch mit einer ganzen Reihe von anderen Sportarten. Trotz - oder gerade wegen? - dieser Zick-Zack-Sportbiografie zählt der Schweizer zu den erfolgreichsten Tennisspielern weltweit. An dieser Stelle geht der Autor mit dem von ihm so genannten „cult of the head start“ ins Gericht, denn auch Spätzünder könnten besondere Leistungen erbringen.
In den nachfolgenden Kapiteln spinnt er diesen Gedanken weiter und zeigt anhand vieler Beispiele, welche besondere Fähigkeiten Generalisten habe. Da ist etwa das Frauen-Orchester Figlie del Coro im Venedig des 17. Jahrhunderts, dessen Musikerinnen jeweils unterschiedliche Instrumente in Perfektion spielen. Oder Jazz-Gitarrist Django Reinhardt, der auf Umwegen zu seinem Instrument kommt und einen völlig eigenen Musik- und Spielstil entwickelt. Oder Vincent van Gogh, der zunächst als Buch- und Kunsthändler arbeitet, bis er mit Anfang 30 die Malerei für sich entdeckt.
Epstein befasst sich außerdem mit dem Lernprozess an sich und stellt fest, dass "deep learning" vor allem dadurch entsteht, dass Lernende sich durch Stoff kämpfen, dabei Fehler machen und kurzfristig überfordert erscheinen, jedoch langfristig davon profitieren. Anstatt bestimmte und sehr ähnliche Aufgaben wiederholt zu lösen, komme es darauf an, verschiedene Formate und Themen zu kombinieren, um auch flexibel komplett neue Probleme in Zukunft lösen zu können, die nicht Schema F folgen.
Ein Nachteil einer zu frühen und extremen Spezialisierung führt laut Epstein auch dazu, dass die Beteiligten den Wald vor Bäumen nicht sehen und, gefangen in der eigenen mentalen Schublade, blockiert sind, wenn sich ein Problem nicht lösen lässt. Der Autor berichtet etwa von Organisationen wie der NASA, die von externen Amateuren auf einen einfachen Lösungsansatz gebracht wurden bzw. werden mussten. Schließlich lässt Epstein den Chef-Entwickler von Nintendo auftreten, der - wir ahnen es bereits - auch ein Generalist war ("I have a sort of vague knowledge of everything") und entgegen der damaligen Mainstream-Denke mit altbackener Elektronik den erfolgreichen Gameboy erfand - weil er eben um die Ecke denken konnte.
Zum Schluss wiederholt der Autor noch die Bedeutung von "t-shaped persons", also Menschen mit sowohl einem tiefen Wissen in einem sehr abgegrenzten Bereich und einem oberflächlichen Breitband-Wissen. Arbeiten diese Menschen zusammen und bringen ihre "open-mindedness" an einen Tisch, könnten auch Unglücke wie die Explosion der Raumfähre Challenger vermieden werden, deren Ursachen im Detail beleuchtet werden.
Fazit (oder warum man dieses Buch überfliegen sollte)
"Ich hab's schon beim ersten Mal kapiert" sagt das Känguru zu Marc-Uwe Kling, als letzterer in den "Känguru-Chroniken" zu einer ausschweifenden Erklärung ansetzt. Und so habe ich mich beim Lesen gefühlt. "Range" besteht aus einer Kaskade von Experimenten, Personen, Geschichten und Geschichtchen, die immer wieder aufs Neue eine relativ einfache These stützen: es ist von Vorteil, Generalist zu sein und sich bei Lösungen von Problemen auf Wissen aus unterschiedlichen Bereichen stützen zu können.
Für Bücher wie “Range” wurde wahrscheinlich Blinkist erfunden ;)